So war’s auf der Brücke 20.0

Deutsch-tschechische Beziehungen: wie weiter?

Die erste Fahrt, die unsere Straßenbahn unternahm, führte zwar zurück in die Vergangenheit, aber auch in die Gegenwart und Zukunft der deutsch-tschechischen Beziehungen. Die Einladung zu dieser Reise nahmen Diplomaten und Politiker an, die zu Beginn des Prozesses der deutsch-tschechischen Annäherung vor zwei Jahrzehnten dabei waren und die bis heute in den deutsch-tschechischen Beziehungen sehr aktiv sind: der deutsche Botschafter Christoph Israng, der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft Bernd Posselt, Tomáš Kafka, Diplomat und erster Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds in seiner Gründungszeit und Libor Rouček, Vorsitzender des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums.

Um zu wissen, wohin wir wollen, ist es notwendig zu wissen, woher wir kommen. Der erste Teil der Diskussion in der Straßenbahn beschäftigte sich mit der Frage, unter welchen Umständen und auf welche Art und Weise die deutsch-tschechischen Beziehungen vor zwanzig Jahren geführt worden sind.

Libor Rouček erinnerte sich an eine damals herrschende Atmosphäre voller Kälte und Misstrauen. Im Jahr 1992 wurde der deutsch-tschechisch-slowakische Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet, 1997 dann die Deutsch-Tschechische Erklärung und 1998 entstand schließlich der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds. Beide Länder hatten sich darauf geeinigt, in Zukunft gegenseitige Beziehungen pflegen zu wollen. Die Tschechische Republik strebte damals den Eintritt in die NATO und in die Europäische Union an und fand in Deutschland ihren nächsten Verbündeten. Beide Seiten nahmen den Prozess der europäischen Integration als Gelegenheit zur Überwindung gegenseitiger Vorurteile wahr.

Zu Beginn der Annäherung hatten Themen aus der gemeinsamen, nicht immer friedlichen Geschichte eine hohe Priorität. Der Dialog musste nicht nur auf der Ebene der bilateralen (deutsch-tschechischen) Beziehungen angeknüpft werden, einen großen Einfluss in seiner Gestaltung hatten auch die Sudetendeutschen. Es war unmöglich, zu jener Zeit einen Bogen um den Holocaust oder die Zwangsarbeit zu machen. Die Vertreter dieser Gruppen spielten im Versöhnungsprozess jedoch eine sehr aktive Rolle, sei es im Rahmen des Gesprächsforums oder in anderen Kontexten. Nach Tomáš Kafka war die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus die Hauptaufgabe des Zukunftsfonds in seiner Anfangszeit, eine Frage des Vertrauens, die ihm übertragen wurde. Weil es dem Fonds schließlich gelungen ist, diese nicht gerade einfache Aufgabe zu erfüllen, konnte man es sich erlauben, in der Zukunft gewagter und offener zu agieren.

Die Diskutanten in der Straßenbahn stimmten dahingehend überein, dass nach dem Abbau des Misstrauens innerhalb der gegenseitigen Beziehungen beiden Seiten klar wurde, dass es eigentlich vieles gibt, was sie verbindet. Sie begannen sich gegenseitig anzunähern. Sie teilten nämlich nicht nur ein gemeinsames kulturelles Erbe, sondern auch einen sehr ähnlichen Sinn für Humor. Diese Erkenntnis erleichterte die weitere Arbeit sogar bis zu dem Punkt, an dem man schließlich nicht mehr zögerte, die gegenwärtigen deutsch-tschechischen Beziehungen als „Flitterwochen“ zu bezeichnen.

Flitterwochen, ernsthaft? In einer Zeit, in der zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik einige kontroverse Themen in der Luft liegen? Ja, auch trotzdem sind in den Augen unserer Diskutanten die gegenseitigen Beziehungen so gut wie nie zuvor und das deshalb, weil ihre Akteure gelernt haben, gemeinsam zu (ver)handeln. Während in der Vergangenheit die Augen beider Nachbarn zu sehr auf sich selbst und die eigenen Probleme gerichtet waren, sind die in den letzten zwanzig Jahren gesammelten Erfahrungen, wie mit der anderen Seite zu verhandeln ist, auch bei der Schaffung eines konstruktiven Zusammenlebens in der Europäischen Union gültig und anwendbar. Das Modell der deutsch-tschechischen Nachbarschaft gilt heute als beispielhaft.

Und wer wird die „deutsch-tschechische Fahrt“ in Zukunft anführen? Auch in diesem Punkt sind sich die Diskutanten einig: das kann nicht nur eine Seite oder eine Institution tun; alle eingebundenen Akteure müssen verstehen, dass die Zukunft in ihren Händen liegt und es in ihrem Interesse ist, dass es eine gute Zukunft werden wird. Wie sind alle dafür verantwortlich, ob sie ein Erfolg oder eine Katastrophe wird.