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Ab sofort nur noch als Lager nutzbar! Eine Geschichte darüber, ob Abriss oder Erhalt wichtiger ist.

Hier oder dort, vor der Grenze oder dahinter. Deutsche und Tschechen verbindet im heutigen Europa eine ganze Reihe von Themen. „In der Luft“ liegen alte Fragen wie neue Herausforderungen und Lösungen. Der Blog von Zuzana Lizcová bringt interessante Momentaufnahmen des aktuellen Geschehens der letzten Wochen und Eindrücke von Treffen mit verschiedenen Menschen.  

16.5.2018

Freitag Vormittag. In den zugewachsenen Garten dringt die Spätsommersonne. Sie entblößt auch die graue, schlichte Fassade einer Villa, die wohl so kaum jemand am Bahnhof in einer südböhmischen Kleinstadt vermuten würde. Von außen sieht sie verrostet und schäbig aus, innen aber birgt sie Schätze. Ein durchdachtes Konzept, luftige, großzügig entworfene Räume. Originale Böden, Klinken, das hölzerne Treppenhaus und praktische Einbausschränke. Ein Meisterwerk des damals führenden Wiener Architekten Fritz Reichl, das einzige in Böhmen. Zum Abriss bestimmt.

Das funktionalistische Haus, welches durch seinen Aufbau und seine Atmosphäre wie eine kleinere Version der berühmten Prager Villa Müller von Adolf Loos wirkt, ließ der ortsansässige Großunternehmer Johann Nepomuk Kral in Prachatice zwischen 1931 und 1932 für sich erbauen. Seine Familie nutzte es noch bis zum Kriegsende, bis sie als Deutschböhmen vertrieben worden sind. Einigen Folgegenerationen diente das Gebäude als Kindergrippe, Kindergarten und Hort. Heute ist es im Besitz der Stadt und gähnt vor Leere. Vorerst noch.

Seitdem ich zum ersten Mal auf die Wiese der verwilderten Grünanlage vor der Villa Kral getreten bin, ist ein halbes Jahr vergangen. Viel hat sich aber nicht verändert. Das grundlegende Dilemma bleibt das gleiche. Das Haus, dessen Wert die Fachleute nicht bezweifeln, steht an einem äußerst ungünstigen Ort. Direkt an der einer geplanten Verkehrsüberführung. Die derzeitige Stadtverwaltung mit Bürgermeister Martin Malý an der Spitze hält daran fest, dass die erwähnte Straße für Prachatice notwenidg sei und die Villa weg müsse. Diesem Standpunkt schloss sich im Januar dieses Jahres auch das Kulturministerium der Tschechischen Republik an, welches es ablehnte, das Objekt als Kulturdenkmal anzuerkennen. Der Erhalt des Kulturerbes kann danach „in diesem konkreten Fall nicht dem öffentlichen Interesse am Schutz von menschlicher Gesundheit oder Lebens übergeordnet werden.”

Der Teufel steckt wie immer im Detail. In Prachatice heißt es, dass für die Überführung so und so kein Geld da sei. „Wir haben das auch vom Landkreis schriftlich bekommen, dass innerhalb der nächsten zwanzig Jahre nicht gebaut werden wird,“ sagt Barbora Staňková vom Verein „Živá vila“ (dt. „Lebendige Villa“), der sich für die zumindest vorübergehende Nutzung der Villa Kral für kulturelle Zwecke einsetzt. In den letzten Jahren hat der Verein in der Villa mit großem Erfolg verschiedene Ausstellungen, Konzerte, Führungen und öffentliche Filmprojektionen veranstaltet. Damit ist aber Schluss. Nach Herrn Malý, der am Telefon bereitwillig auf Fragen von Journalisten antwortet, benötige die Stadt das abgeschriebene Haus dringend als Lager: „Lagerstätten haben wir hier leider kaum,“ sagt der Bürgermeister. Möbel aus Zwangsvollstreckungen, Weihnachtsschmuck und Gott weiß, was noch alles. Alles muss irgendwohin getan werden. „Diese Art der provisorischen Nutzung bis zum Abriss erscheint uns als sinnvoll,“ fügt Malý noch hinzu. Für Kulturveranstaltungen gäbe es in der Stadt angeblich genügend weitere räumliche Möglichkeiten.

Eine andere Sicht auf die Angelegenheit vertritt der ortsansässige Architekt Jakub Nepustil, der sich in Prachatice seit langem mit den Themen Urbanismus und Entwicklung des öffentlichen Raums befasst. „Es sieht so aus, als ob die Stadtverwaltung angefangen hat, vor allem aus dem Grund gegen die Rettung der Villa zu kämpfen, weil dort eine alternative Kultur begonnen hat zu entstehen, die sie nicht unter Kontrolle hatte. Die jungen Leute dort waren aktiv und erfolgreich, was der Stadt ein Dorn im Auge war,“ sagt Nepustil. „Es gibt überhaupt keinen Grund, warum sie die Villa nicht weiter mieten könnten,“ fügt er hinzu. Und er glaubt auch dem Argument nicht, dass die Villa als Lager benötigt wird. „Solche Objekte, wo man Sachen einlagern könnte, hat Prachatice viele andere,“ denkt Nepustil.

Also was nun? Ist die Überführung notwendig und wird sie überhaupt irgendwann gebaut? Will die Stadtverwaltung das wertvolle Gebäude zur Sicherheit lieber verwahrlosen lassen, damit niemand mehr stört, wie Barbora Staňková glaubt? Und hat diese Details das Kulturministerium überhaupt irgendwann interessiert, das „Verkehrsinteressen“ den „kulturellen Interessen“ übergeordnet hat? „Ich verstehe Ihre ein wenig eigenartigen zusätzlichen und anschuldigenen Nachfragen nicht. Ich glaube nicht, dass es sich dabei um die Fragen eines Journalisten handelt,“ antwortet mir der Sprecher des Ministeriums lakonisch auf die Frage, ob sich die Beamten, die über das Schicksal der Villa entschieden haben, das Haus wenigstens angeschaut haben und ob sie wissen, dass der Bau der Straße vielleicht niemals begonnen wird und der Verfall der Villa Kral somit völlig unnötig sein könnte.

Ich sage nicht, dass das Alte nicht auch manchmal Platz für Neues machen muss. Dass die Villa um jeden Preis erhalten werden muss, behauptet im Übrigen nicht einmal Barbora Staňková oder Jakub Nepustil, die in diesem Jahr mit ihrer Bürgerinitiative Živé Prachatice (dt. „Lebendiges Prachatice“) auch bei den Kommunalwahlen angetreten sind. Sie wollen lediglich, dass die Stadt, der Landkreis sowie das Kulturministerium die Umstände berücksichtigt und alle Alternativen eingehens erwägt. Und dass das Haus erst dann geopfert wird, wenn sich zeigt, dass es tatsächlich keinen anderen Weg gibt.

Wenn es verschwinden würde, wäre damit nämlich nicht nur das Gebäude selbst verloren, sondern auch eine weitere Erinnerung an die deutschböhmische Geschichte im Böhmerwald. Und das wäre in jedem Fall schade.


Zuzana Lizcová ist Journalistin und Analytikerin. Sie sammelt interessante Geschichten, schreibt und hält Vorträge über internationale Politik. Ein besonders enges Verhältnis hat sie zu Deutschland und Österreich. Sie hat Spaß an neuen Projekten und an Menschen, die anderen etwas zu sagen haben.