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Ab ins Museum!

Mittwoch, halb elf. Die morgendliche Kälte verflüchtigt sich, in den Dresdner Straßen zeigt sich die ungewöhnlich starke Frühlingssonne. Ich klopfe an das Tor des Dresdner Residenzschlosses. Also besser gesagt klingle ich an einem unscheinbaren Eingang. Im daneben gelegenen Innenhof hallen die Stimmen von Touristen und Schülern wider, die gekommen sind, um sich die Schätze der sächsischen Kurfürsten anzuschauen. Die Geschäfte auf der bekannten Prager Straße verschlingen die ersten Kunden. Nicht nur ihr Name deutet an, dass Böhmen von hier nur ein Steinwurf entfernt liegt. Und das schon immer. Geografisch und mental.

Zu denen, die das sehr gut wissen, gehören Marion Ackermann und Jiří Fajt. Die Generaldirektoren der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und der Nationalgalerie Prag (NG) leiteten im letzten Jahr die Zusammenarbeit ihrer beiden Museumsverbünde ein und tauschen heute zum ersten Mal ihre Chefsessel. Natürlich nur symbolisch und für ein paar Stunden. Aber allein das ist es wert.

Das Arbeitszimmer der Generaldirektorin im Dresdner Residenzschloss wird dominiert von riesigen Fenstern und hohen Bücherregalen. Russische Avantgarde, Kunst und Alchemie, Delacroix, Miró, Tizian und Max Ernst lese ich stichprobenartig auf den Buchrücken und ihren glänzenden Einbänden. Die, die nicht mehr ins Regal gepasst haben, wachsen zu ansehnlichen Türmen auf dem Boden. Von draußen dringt das Klappern von Pferdehufen und laut erschallende Straßenmusik herein. Gleich gegenüber funkelt an der Fassade des Kulturpalasts das großformatige „Aufbau“-Mosaik. Es wird dominiert von einer jungen Aktivistin mit einem Tuch um den Kopf, die das Land nach vorn, zu einem besseren, sozialistischen Morgen führt. Alt und neu, ruhmreich und verworfen. Alles kommt hier auf ein paar hundert Quadratmetern in einer bunten, beschwingten Mischung zusammen.

In der Mitte des Geschehens sitzen auf hellen Sesseln Marion Ackermann und Jiří Fajt. Sie lächeln, posieren geduldig vor den Kameras. Was man jedoch nicht sehen kann ist, dass sich ihr Gespräch um konkrete, ernste Themen dreht. Sie erörtern, wie man gemeinsame Ausstellungs- und Forschungsprojekte umsetzen, sich gegenseitig Exponate ausleihen und in die Zusammenarbeit die einzelnen Museen oder Sammlungen einbinden könnte, die zu ihren Einrichtungen gehören. Sie bewerten den Erfahrungsaustausch zwischen ihren Angestellten, dem sich seit letztem Jahr bereits zwanzig Kuratoren, Restauratoren und wissenschaftliche Mitarbeiter aus Deutschland und Tschechien angeschlossen haben. Und gleich vereinbaren sie dessen Fortsetzung.

„Wir wollen vor allem die mentale Barriere überwinden,“ sagt Fajt über die deutsch-tschechische Grenze. Von Prag aus wäre es näher nach Dresden als nach Brünn, für die Dresdner wäre die tschechischen Metropole wiederum näher als Berlin. Und wie Marion Ackermann erinnert, hättet sich die Sachsen und die Preußen noch nie so gut verstanden. Zu einem Kulturkreis gehörten sie schon immer eher mit den Tschechen. Und an diese gute Tradition müsste man anknüpfen.

Einige Projekte wurden bereits im Vorjahr symbolisch oder im wahrsten Sinne des Wortes in Bewegung gesetzt (wie beispielsweise der „Kulturzug Praha – Dresden // Dresden – Praha“, der auf dieser Strecke prominente Künstler von beiden Seiten vorgestellt hat). Weitere sollen folgen. Beiden Direktoren, die gerade an ihren Vormittagskaffees nippen, kann man ansehen, dass sie bei vielen Dingen eine gemeinsame Sprache gefunden haben. Jeder muss in seiner Institution ähnliche Probleme lösen. Wie kann man die Finanzierung großer, internationaler Ausstellungen sichern und gute Sponsoren finden? Wo findet man interessante Angestellte und bildet sie weiter? Wie kann man Kunst auch nach außerhalb der Museumswände verlagern, in den ländlichen Raum und in Kleinstädte, näher zu den Menschen? Wie kann man die Debatte darüber, was die kulturelle Szene und die Gesellschaft heute bewegt, beleben? Wo kann man Werke zeigen, die unnötig lange im Museumsdepot stehen? Wie kann man Kunst aus den sächsischen und den tschechischen Sammlungen nicht nur im mitteleuropäischen, sondern auch in einem breiteren Rahmen zeigen?

Allen Anwesenden ist offensichtlich klar, dass heute, morgen und wohl auch übermorgen keine klaren Antworten für diese Fragen gefunden werden. Aber was anderes sollte an einem Neuanfang stehen als die richtigen Fragen? Jiří Fajt und Marion Ackermann stellen sich diese und hören sich gegenseitig zu. Ihre Mitarbeiter schauen bereits nervös auf die Uhr. Dezent wird erwähnt, dass der nächste Termin auf dem Programm steht und es nötig sei, zu gehen. Die Direktoren erheben sich nur allmählich, etwas unwillig. Gerade sind sie auf einen weiteren Punkt zu sprechen gekommen, über den sie sich gern weiter unterhalten würden. Und es scheint, als würden ihnen die Themen so schnell nicht ausgehen.

In der Garderobe des Schlosses hole ich meinen Rucksack und mein Notebook ab und mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Mit dem Zug bin ich von hier in zwei Stunden zu Hause. Ein Schuhgeschäft auf der Prager Straße hängt Rabattschilder auf. „Alle Schuhe sind niedriger!“, verkündet stolz eine tschechische Aufschrift in der Auslage. Fast richtig übersetzt, was zählt ist die Bemühung. Vielleicht werden wir uns irgendwann einmal – auch dank der intensiveren kulturellen Zusammenarbeit – noch besser verstehen.